07 Aug Kovac statt Quälix: Tegernsee Reloaded
Seit Dienstag ist der FC Bayern in seinem Trainingslager am Tegernsee. Ich stehe am Rande des Platzes. Auf dem Rasen unterbricht Trainer Niko Kovac die Einheit, um seinen Spielern Anweisungen zu geben. „Wir müssen Dreiecke bilden“, ruft er in das Trainingsspiel hinein. Gemeint ist eine dritte Anspielstation. Gleiches hatte ich Louis van Gaal von 2009 bis 2011 in seinen Vorbereitungen predigen hören. Van Gaal ist das Vorbild von Kovac. Ebenso wie es für den aktuellen Bayern-Coach auch Ottmar Hitzfeld ist, bei dessen Trainingslagern ich auch am Tegernsee war. Als ich vor der Kulisse des Wallbergs stehe, denke ich aber in erster Linie an den Bayern-Trainer Felix Magath.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt in Ihrer Donnerstagsausgabe ebenfalls über Ex-Bayern-Trainer Felix Magath folgende Zeilen: „Im Sommer 2004 ließ der damalige Trainer des FC Bayern seine Profis den Berg hinaufrennen, von diesen Qualen erzählen sie im Verein noch 15 Sommer später begeistert.“ Was die SZ nicht schreibt: Der Grund für den Wallberg-Lauf war – bei aller Bescheidenheit: ich.
Es war im Juli 2004, als ich das letzte Mal eine Einheit des FC Bayern am Tegernsee beobachtete, damals noch als Jungreporter von der „tz“. Der Rekordeinkauf der Bayern hieß in diesem Sommer nicht Lucas Hernandez (80 Millionen Euro), sondern Lucio (12 Millionen Euro). Vor 15 Jahren war es Magath, der den Stars die Kommandos gab. Seinen Spitznamen „Quälix“ wurde er dabei mehr als gerecht. Ein Informant hatte mir gesteckt, dass der Trainer für den Mittwoch eine Laufeinheit der besonderen Art plane. Auf dem Riederstein hatte Magath 534 Stufen der Qualen entdeckt, die er seine Stars hochzujagen gedachte.
Meine Story-Idee: Ich teste einen Tag vor den Bayern Magaths Kreuzweg. Zum Wandern ist es eine Stunde bis zur Galaun-Hütte, danach beginnen die 534 Stufen zur Riederstein- Kapelle. Es goss in Strömen. Die Strecke ist mit Kreuzweg-Schildern bestückt, bei Station IX („Jesus fällt zum dritten Mal“) rutschte ich zum wiederholten Mal aus. Noch vor dem Ziel gab ich auf, spazierte den Rest bis zur Kapelle hoch. Alles Bild für Bild von einem Fotografen dokumentiert.
Am nächsten Morgen lag im Bayern-Quartier „Bachmair Alpina“ die Zeitung mit meiner Reportage aus. Titel: „Ich bezwang den Quälix-Berg“. Magath wurde der Artikel ebenfalls vorgelegt, mit der Konsequenz: Der Bayern-Coach änderte kurzfristig die Route! Statt auf dem Riederstein (1207 Meter) mussten die Profis auf den Wallberg (1772 Meter) hoch! Ich nahm diesmal die Seilbahn, um die Spieler oben zu empfangen. Zé Roberto kam mir fix und fertig, schimpfend wie ein Rohrspatz entgegen. Anders als Hasan Salihamidzic hatte der Brasilianer die Zeitung nicht gelesen. Doch Brazzo wusste, wer ihnen die erweiterte Tour eingebrockt hatte. „Schönen Dank auch!“, rief er mir zu. Magath dagegen schenkte mir ein vielsagendes, verschmitztes Lächeln. Ihm waren die Extra-Höhenmeter für seine Mannschaft offenbar nicht ungelegen gekommen.
Nun, im August 2019, sitzt Salihamidzic im weißen Hemd gemütlich als Sportdirektor am Spielfeldrand. Wenige Meter weiter treibt Co-Trainer Robert Kovac das Team bei den Sprints an. Auch er lief damals noch als FCB-Profi die Wallberg-Tour mit. Nach dem Training reden Robert und ich abseits des Platzes kurz über alte Zeiten. Sein Bruder und Chefcoach Niko, der vor dem Amtsantritt von Magath zu Hertha BSC wechselte, quält seine Profis keinen Berg mehr hoch. Heute radeln die Spieler vor und nach dem Training sonnengeschützt in einem extra aufgebauten Zelt. Am Mittwoch lässt Kovac seine Spieler immerhin mit Gewichts-Westen trainieren. Was uns Reporter betrifft, sind die Zeiten definitiv weniger qualvoll geworden. Der FC Bayern stellt auch für uns während der Trainingseinheiten einen weißen Pavillon zur Verfügung, in dem wir mit Wasser, alkoholfreiem Bier, Wurstsemmeln und sogar Kuchen versorgt werden. Ich trinke nur das Wasser. Ohne Wallberg-Lauf und Quälix Magath kann ich mir in meinem Alter nicht mehr Kalorien leisten…