Der Kaiser sagte mir: „Irgendwann werde ich auch Jesus kennenlernen“
Persönlicher Fußball-Blog von Christian Falk - Fußball-Chef der BILD-Gruppe. Insider-Berichterstattung über den FC Bayern München und der DFB Nationalmannschaft.
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Der Kaiser sagte mir: „Irgendwann werde ich auch Jesus kennenlernen“

Der Kaiser sagte mir: „Irgendwann werde ich auch Jesus kennenlernen“

Ich überreiche Franz Beckenbauer 2005 den Artikel, an dem er am 16. Juni 1969 erstmals als der „Kaiser“ tituliert wurde
Ich überreiche Franz Beckenbauer 2005 den Artikel, an dem er am 16. Juni 1969 erstmals als der „Kaiser“ tituliert wurde.

 

Wer nicht an Schicksal glaubt, hat nie Franz Beckenbauer kennengelernt. Ich durfte den Fußball-Kaiser kennen. Die Nachricht über seinen Tod kam für Menschen, die wie ich über seinen Gesundheitszustand bis zuletzt informiert waren, nicht wirklich überraschend. Der Moment, in dem mich der Anruf erreichte, bevor die Meldung wenige Minuten darauf um die Welt ging, war aber typisch Beckenbauerhaftes Schicksal. Ich bin auf der A8 zum Münchner Flughafen für meine Maschine nach Berlin ins Axel-Springer-Haus und höre gerade die neue Folge des ARD-Podcasts: „Beckenbauer – Der letzte Kaiser von Deutschland“. Der Schauspieler Sebastian Bezzel (alias Franz Eberhofer) war darin so nett, meinen Podcast „Bayern Insider“ zu empfehlen. In vier Folgen erzählt Bezzel aus dem Leben von Beckenbauer. Als mein Telefonat beendet ist, springt das Auto-Radio wieder in Beckenbauer-Podcast. Wer nicht an Schicksal glaubt, … Nachdem ich meinen Flug storniert hatte, ist auf der Rückfahrt viel Zeit, über meine Erlebnisse mit Franz Beckenbauer zurückzublicken. Dabei bleibe ich vor allem an einem Treffen hängen.

Kitzbühel, Stanglwirt, September 2005: Der Wilde Kaiser grüßt im Sonnenschein im Hintergrund, vor mir sitzt der Fußball-Kaiser. Franz Beckenbauer empfängt mich zum Interview anlässlich seines 60. Geburtstags. Eigentlich soll das Gespräch über sein Leben gehen, doch tatsächlich bestimmt in den nächsten eineinhalb Stunden das Leben nach dem Tod immer mehr unser Thema.

Als ich Beckenbauer nach seinem größten Geburtstagswunsch frage, schlägt er nach kurzem Überlegen ein Treffen mit dem neuen bayerischen Papst Benedikt vor. Beckenbauer wäre nicht Beckenbauer, wenn er nicht gleich sofort einen launigen Spruch folgen lassen würde. „Irgendwann werde ich auch Jesus kennenlernen“, sagt Beckenbauer und fügt an: „Vorausgesetzt: Man lässt mich vor. Aber vielleicht klappt’s ja über den Benedikt. Der könnte schon ein gutes Wort für mich einlegen.“ Ein Scherz, in dem offenbar viel Glauben steckt. Darum will ich von Beckenbauer wissen: Glaubt der Kaiser an das Paradies? „Ich glaube, dass die Seele weiterlebt. Dieses spezielle Atom ist unzerstörbar…“ Beckenbauer fasst sich an den Kopf, an die Beine, rüttelt lachend mit beiden Händen an seinen Waden. „Die Haare fallen dir aus, die Muskulatur ist alt, die Knochen gebrechlich – aber das ist alles nur Ballast. Aber die Seele bleibt, darum glaube ich an ein Weiterleben.“ Ich hake nach: Und das Paradies? „An ein Paradies der Seelen, wo sich alle versammeln – das weiß ich nicht so recht“, schränkt Beckenbauer seine Vorstellung ein. „Wir haben doch hier schon ein Paradies auf Erden“, stellt er nun wieder ganz weltlich klar. Dann schildert Beckenbauer sein Morgenritual. Wenn er um sieben in der Früh aufstehe, dabei seinen Sohn im Arm, und dann mit den Hunden rausgehe, schaue er gerne in den meist blauen Himmel, auf die grünen Wiesen und die Berge. „Das ist das Paradies für mich!“, sinniert Beckenbauer, dreht sich dabei um und zeigt mit glänzenden Augen auf den Wilden Kaiser. „Da oben war ich schon. Auf dem Ellmauer Törl – das ist mit das Höchste. Angeseilt musst du da schon sein, aber auf allen vieren komme ich da rauf. Die Berge hier warten auf mich.“

Treffen vor der WM 2010 mit Franz Beckenbauer
Treffen vor der WM 2010 mit Franz Beckenbauer

 

Tatsächlich hat sich Beckenbauer nicht nur mit dem Leben nach sondern auch vor dem Tod ernsthaft beschäftigt. Ihn würde es reizen, verrät er, zu erforschen: „Wo komme ich her, was ist meine Aufgabe?“ Dafür fehle ihm die Zeit, darum habe er sich Hilfe geholt. „Ich denke da an den mystischen Bereich, wie zum Beispiel die Zurückführung. Vielleicht hattest du tatsächlich ein Vorleben. Auf jeden Fall hat mir meine erste Astrologin – schon damals eine sehr alte Dame – eine alte Seele bestätigt. Ich war also schon oft da.“ Beckenbauer merkt, dass das Thema inzwischen ernst geworden ist. Zu ernst für seinen Geschmack. Was folgt, ist natürlich: ein Beckenbauer-Spruch. „Wahrscheinlich bin ich sogar als Winnetou mit wehendem Haar über durch die Prärie geritten!“ Mit einem Lachen beschließt er das Thema. Doch wir werden noch einmal darauf zurückkommen.

Zwei Zigarren (Montecristo Nr. 5) habe ich für den Termin mitgebracht, weil ich weiß, dass Beckenbauer sie gerne mag. „Die willst Du doch jetzt nicht rauchen, Franz! Wir sind doch eh schon spät dran“, wirft sein Manager Marcus Höfl sein, der Beckenbauer für den nächsten Termin abholen will. „Warum denn nicht?“, antwortet ihm Beckenbauer und dann wieder an mich: „Haben wir denn noch ein Thema?“ Ja, das haben wir. Beckenbauer hat sich im Laufe seiner Karriere für die vielen Fragen der Journalisten oft für seine Antworten an Konfuzius-Zitaten bedient. Ich habe Beckenbauer eine ganze Weisheiten-Sammlung des chinesischen Philosophen mitgebracht. Ich lese sie dem Fußball-Kaiser vor, er soll mir dazu seine Gedanken verraten. So sagt Konfuzius (171. Lunyu 4.21): „Dass Alter deiner Eltern sollte dir immer bewusst sein – es ist eine Quelle der Freude, gibt aber auch Anlass zur Sorge.“ Beckenbauer stimmt dem Philosophen zu: „Es gibt sehr wohl Anlass zur Sorge, denn mein Vater ist nur 72 geworden. Nachdem meine Gene eher väterlich ausgerichtet sind, ist das schon beunruhigend…“ Konfuzius (190. Lunyu 15.20) sagt: „Der Edle macht sich Sorgen darüber, dass er diese Welt verlassen könnte, ohne dass sein Name überall lo- bend genannt wird.“ Beckenbauer dazu: „Ich denke, jeder will sich verewigen, bevor er aus diesem Leben tritt. Es ist dieser Gedanke, etwas zu hinterlassen. Dabei sollte das oberste Ziel jedes Menschen sein, zum Abschluss seines Lebens feststellen zu können: Ich bin ein guter Mensch geworden.“

Franz Beckenbauer wurde 78, sechs Jahre älter als sein Vater Franz Senior. Ich kann aus meinen persönlichen Erfahrungen mit dem Kaiser sagen:
Beckenbauer war unser bester deutscher Fußballer aller Zeiten. Er ist aber noch ein größerer Mensch geworden.