17 Feb. 38 Jahre Warten: Endlich Anfield!
Sonderflug LH 2570 bringt den FC Bayern zum Spiel des Jahres – und ich sitze mit an Bord. Seit ich denken kann, schaue ich spiele des FC Bayern. Und ebenso lange fiebere ich auf diese Partie hin: Der FC Bayern an der Anfield Road in Liverpool – vielmehr geht nicht an Fußball-Mythos aus deutscher Sicht.
Für die bisher drei Partien zwischen den beiden Kult-Klubs in Liverpool war ich schlichtweg zu jung. Als Reporter sah ich zwar 2001 das 2:3 der Bayern gegen Liverpool im Supercup, doch die Partie war im wenig stimmungsvollen „Stade Louis II“ in Monaco (der heutige Sportdirektor Hasan Salihamidzic verkürzte damals auf 1:3). In Anfield traten die Bayern zuletzt 1981 an.
Es war das Halbfinale des damaligen Europapokals der Landesmeister. Auf Seiten der Reds stand Ian Rush und Kenny Dalglish auf dem Rasen, ihnen gegenüber Karl-Heinz Rummenigge und Paul Breitner. Wie in allen Gastauftritten zuvor gelang den Bayern kein Tor (0:0, zuvor 0:3 und 0:0). Durch das 1:1 im Rückspiel schieden sie aus, den Pott holte Liverpool anschließend im Finale gegen Real Madrid (1:0). Ganze 38 Jahre später ist es nun soweit: Meine dritte Partie in Anfield wird die erste mit dem FC Bayern.
Zur Vorberichterstattung schaue ich mir zusammen mit meinem Kollegen Robert Schreier den Mythos Anfield noch mal näher an – ganz klassisch per Stadiontour.
„Kennt ihr den Kerl“, sagt unser Guide. Vor dem Ausgang zur Haupttribüne ist eine Leinwand aufgespannt. Als würde er gerade aus den Katakomben kommen, schlendert uns Jürgen Klopp daraus entgegen. „This is Anfield. A special place, a secret place“, richtet Klopp das Wort an uns. Für mich ist es immer noch ungewöhnlich, ihn auf Englisch sprechen zu hören. Dabei geht er inzwischen in seine vierte Saison mit den Reds. Titel hat er noch keinen geholt. Umso einen heißeren Empfang will er seinen Landsmännern aus München in seinem „special place“ bereiten. Wir gehen weiter, um den Geheimnissen des „secret place“ näher zu kommen.
Seit 1882 ist Anfield die Heimat des FC Liverpool. Vor seinem Umzug spielte der FC Everton hier. Der Guide zeigt aus einem Fenster, wir blicken auf den Goodison Park. Das Stadion des Lokalrivalen FC Everton, das in Fußweite liegt. Die Roten gegen die Blauen – die Konstellation kommt mir sehr bekannt vor.
In die Ahnengalerie der Liverpooler Ex-Trainer, die an den Wänden verewigt sind, hat es Klopp noch nicht geschafft. Dafür ist in einem Seitengang der Kabinen ein Leitspruch von ihm aufgemalt: „This is a place for big football moments.“ Ich biege links ab und stehe vor dem Heiligsten, das ein Stadion zu bieten hat. Ein Platz, der Reportern ansonsten verwehrt bleibt: die Spieler-Kabinen.
Schon auf den ersten Blick wird klar: Dem Gegner ist ein sehr spartanischer Raum zur Verfügung gestellt. In den Behandlungsraum passen gerade mal zwei Massage-Liegen. Hier ist so gut wie nichts an Anfield-Atmosphäre zu spüren.
Ganz anders im „Liverpool FC Dressing-Room“. Hier beherrscht das Rot der Reds den Raum. An jedem Spind hängt das Trikot eines Stars, Nummer für Nummer aneinandergereiht. Auf James Milner (Nummer 7) folgt Ex-Leipzig-Profi Naby Keita (Nummer 8), darauf Ex-Hoffenheimer Roberto Firmino (Nummer 9). Ich öffne den Schrank von Nummer 23. Xherdan Shaqiri, den ich noch aus Münchner Zeiten kenne, wird es mir verzeihen. Ohnehin hat er nur einen Kleiderbügel hängen lassen.
Dann kommt der Moment, den jeder Anfield-Besucher herbeisehnt: Einmal das legendäre „This is Anfield“-Schild berühren. Trainer-Legende Bill Shankley (seine Statue steht vor The Kop) ließ es in den 60er Jahren über dem Spielertunnel anbringen. Ich gestehe: Mir geht es nicht anders. Es ist ein „special moment“, als ich über das Schild streichle, auf dem schon so viele Spieler-Legenden ihre Fingerabdrücke hinterließen.
Als Klopp das Schild über den Durchgang erstmals vor einem Freundschaftsspiel als BVB-Coach abklatschte, führte darunter noch eine Treppe in den Innenraum. Seit dem Umbau 2014 geht es schnurstracks hinaus auf dem Platz. Noch etwas hat sich geändert: Während ich sanft das weiß-umrahmte Klub-Emblem antippe, ist es den Liverpool-Profis inzwischen verboten. Erst, wenn sie etwas gewonnen haben, dürfen sie es berühren! So lautet die strikte Anweisung von Klopp.
Wenige Sekunden später sitze ich auf seinem Trainer-Stuhl, ganz rechts außen auf der Liverpool-Bank (aus Klopp-Sicht). Zwei Stunden später werde ich seine Hand drücken. Klopp läuft mir zufällig in Melwood in die Arme, als er gerade von einer Besprechung des Trainer-Teams auf den Weg zum Vorbereiten der Nachmittagseinheit ist.
Der Termin in Melwood ist der eigentliche Grund unseres Besuchs. Schon bald will der FC Liverpool auf eine größere, modernere Anlage umziehen. Ich bin froh, dass ich Melwood noch erleben darf, schließlich ist es das traditionelle Trainingsgelände des FC Liverpool seit 1950.
Es empfangen uns Sadio Mané und Naby Keita zum Doppel-Interview (zu lesen in der aktuellen Ausgabe von SPORT BILD). Aufgrund des Sprach-Mixes aus Englisch, Französisch und Deutsch haben wir auch eine Dolmetscherin dabei. Das babylonische Sprachgewirr sorgt für lockere Stimmung beim Termin. Nur einer untergräbt ein klein wenig die Amtssprache beim FC Liverpool. Beim Rückweg erhaschen wir einen flüchtigen Blick in Jürgen Klopps Trainer-Zimmer. Dort steht in breiten Lettern an der Wand auf Deutsch: „Hauptsache 3 Punkte“.
Die Punkte kann Klopp gerne weiterhin in der Premiere League sammeln und seinen ersten Titel mit Liverpool holen – in der Champions League zählt allein das Weiterkommen!
Doppelinterview: Sadio Mané und Naby Keita (von rechts) empfangen uns zum Interview in Melwood
Foto: Paul Greenwood