21 Jul „Da bist Du ja endlich!“
Juli 2020, Hotel Vierjahreszeiten München: Zur Begrüßung schenkt mir Leroy Sané ein breites Lächeln – und steckt mich damit an. Noch haben wir beide miteinander kein Wort gewechselt, doch unsere Blicke verraten uns gegenseitig, dass wir gerade den gleichen Gedanken haben: Bis es zu diesem Moment kommen konnte, ist eine gefühlte Ewigkeit vergangen. Am Anfang stand ein Versprechen, das zum Zeitpunkt der Äußerung vielleicht nicht ganz ernst gemeint war, mit der Zeit dafür umso aufrichtiger ins Auge gefasst wurde.
„Da bist du ja endlich“, eröffne ich Leroy. Wie selbstverständlich erwidert er: „Ich hatte ja versprochen, dass das erste Interview, dass ich in Deutschland gebe, Du bekommst.“ Es ist vor allem lustig, da wir beide uns eigentlich bis auf ein paar flüchtige Begegnungen bei der Nationalelf bisher gar nicht so gut kennen. Wir sind quasi so etwas wie eine Internet-Bekanntschaft.
Leroy weiß, dass unser Running-Gag von unseren Followern auf den Social Kanälen verfolgt wurde. Der ging so: Fast immer wenn Sané einen Post machte, erinnerte ich ihn mit einem Kommentar an unsere Abmachung. Es gab Follower, die sich einen Spaß daraus machten, meine Interview-Bemühungen zu sammeln und zu kommentieren (meistens kam ich dabei nicht gerade gut weg). Den wahren Hintergrund kannten ja nur die wenigsten.
Ein kurzer Rückblick:
Juni 2019, Tivoli in Aachen. Die deutsche Nationalmannschaft macht im Zuge der EM-Qualifikation ein Show-Training. Nach der Einheit stehen selbst rundum den Mannschaftsbus Fans. Die Mixedzone für uns Reporter ist kurz davor. Eigentlich warte ich auf Jogi Löw, um ihm noch ein, zwei Fragen zu stellen. Stattdessen kommt Leroy Sané. Der City-Star ist für mich nicht minder spannend, immerhin wissen wir vom Interesse des FC Bayern an ihm. Die Chance, dass er darüber spricht, ist gleich Null. Doch Fragen gehört zu meinem Beruf. Also frage ich: „Leroy, du hast seit Jahren kein Interview mehr in Deutschland gegeben, wäre es nicht mal wieder an der Zeit?“ Sané überlegt kurz, meint darauf zu mir: „Ich weiß, dass Ihr so viele Fragen an mich habt, dass wir dafür mindestens eine Stunde bräuchten. Die Zeit haben wir bei der Nationalmannschaft leider nicht…“
Auch weiß, erstens: Es ist eine geschickte Entschuldigung. Zweitens muss ich zugeben: Er hat nicht so unrecht. Bevor Sané im Bus verschwindet, sage ich noch zu ihm: „Ich werde mir die Zeit nehmen und komme darauf gerne zurück.“ Leroy grinst und weg ist er. Wir beide hätten nicht gedacht, dass uns dieser launige Smalltalk in den kommenden 13 Monaten noch derart beschäftigen wird.
Es gibt aber natürlich noch eine zweite Wahrheit hinter unserem Termin: das Werben des FC Bayern um Leroy hatten wir bei SPORT BILD und BILD so genau verfolgt wie wenige andere. Ich legte mich früh fest: Er wird kommen! Für diese Meinung musste ich einiges an Gegenwind im Netz aushalten. Der Transfer wackelte zeitweise bedenklich, dennoch war ich mir sicher, dass er am Ende klappen würde. Auch, weil ich wusste, wie hart Sportvorstand Hasan Salihamidzic hinter den Kulissen für diesen Deal kämpfte.
„Schön, dass du nun da bist“, sage ich daher Leroy. „Wenn Du nicht zum FC Bayern gewechselt wärst, hätten mich wohl alle meine Follower verlassen.“
Ich habe in meinen rund 20 Jahren als Bayern-Reporter keinen Wechsel erlebt, der sich länger hingezogen hätte. Dabei hätte sich alle Seiten diesen Kaugummi-Transfer ersparen können. Als ich 2016 auf der Büro-Couch von Uli Hoeneß saß und ihm meine Meinung kundtat, dass Bayern für den Schalker Sané gegen City doch besser mitbieten hätte sollen, ließ er mich laut und deutlich wissen: „Herr Falk, wir haben Robben und Ribéry! Sollen wir solange die spielen, Sané einsalzen?“ Ich gebe zu: Ganz Unrecht damit hatte Hoeneß ja auch nicht.
Mein Kollege Tobi und ich setzen uns mit Sané, um sein erstes Interview als Bayern-Profi zu führen. In den Zimmern nebenan hatte ich 2007 ebenfalls die ersten Exklusiv-Interviews in Deutschland mit Franck Ribéry und Luca Toni geführt, was ich in der Runde zum Einstieg erwähne. Es war der Beginn einer neuen Bayern-Ära. Als wir das Vierjahreszeiten verlassen, habe ich das Gefühl, als wären wir nun erneut an einem Neuanfang einer großen Bayern-Zeit.