03 Feb Willkommen zu Hause bei Mark van Bommel
Das Haus ist gedeckt mit einem Reetdach. Es liegt inmitten eines knapp 6000-Einwohner-Orts in der holländischen Provinz Limburg, nahe Maastricht. Vom Flughafen Düsseldorf brauchte ich mit meinem Mietwagen eine Stunde. Die Eltern aus der Nachbarschaft bringen gerade ihre Kinder von der Schule nach Hause, als ich einbiege. Es ist herrlich normal in diesem Wohnviertel. Nichts weist daraufhin, dass hier ein Vize-Weltmeister, Ex-Kapitän der holländischen Nationalmannschaft, ehemaliger Bayern-Kapitän und zuletzt Trainer des PSV Eindhoven lebt. Ich sehe mich gerade noch ein wenig um, als sich schon das eiserne Tor zur Auffahrt automatisch öffnet: Willkommen zu Hause bei Mark van Bommel!
Mark und ich kennen uns schon seit Juli 2006, als er mir als Neuzugang des FC Bayern (vom FC Barcelona) im Hotel „Vierjahreszeiten“ sein erstes Interview in Deutschland gab. Ich steckte ihn in seine erste Lederhose für unser Foto-Shooting, nur die ebenfalls mitgebrachten holländischen Holz-Clogs wollte er nicht dazu anziehen.
Im Laufe der Jahre führten wir viele Interviews, in Dubai (Trainingslager Bayern), Johannesburg (WM 2010) oder in Mailand auf dem AC-Trainingsgelände (2011). Diesmal empfängt mich Mark in seinem Heimatort. Zum ersten Interview nach Station als Cheftrainer beim PSV Eindhoven, die im Dezember vorzeitig endete.
Ich suche im Wagen noch Block und Konzept, da öffnet mir Mark auch schon die Fahrer-Tür. „Schön, dass Du gekommen bist“, sagt van Bommel und fragt: „Du hast doch keine Angst vor Hunden?“ Bevor ich antworten kann, kommt mir schon ein riesiger Rhodesian Ridgeback entgegen. In den nächsten Stunden, die ich bei den van Bommels zu Gast sein darf, merke ich schnell: Der Hund ist der wahre Star der Familie. Allein sein Name verpflichtet: Der Ridgeback heißt „Ibra“!
Mit Zlatan „Ibra“ Ibrahimovic spielte van Bommel von 2011 bis 2012 beim AC Mailand. Was mich dabei natürlich brennend interessiert: Weiß der Schwede denn, dass er im Haushalt van Bommel einen Namensvetter hat? „Klar, weiß Zlatan das“, sagt van Bommel und lacht. Der erste Kommentar des Stürmers dazu habe gelautet: „Du Arschloch!“ Aber natürlich fand es Ibrahimovic witzig. Einerseits ist es ja auch eine Wertschätzung, andererseits kann ich mir denken, dass sich ein „Ibra“ nicht mal als Leihnamensgeber gerne herumkommandieren lässt. Mir fallen dazu gleich ein paar Kommandos ein: „Platz, Ibra!“ „Aus, Ibra!“ „Brav, Ibra!“ Die Vorstellung ist zugegeben lustig, wenn man sich den Stürmer dazu vorstellt.
Die Beziehung von Ibrahimovic zu van Bommel ist wie der Ridgeback etwas Besonderes. Das erste Aufeinandertreffen der beiden Profis sei weniger herzlich gewesen, berichtet mir Mark. Beim Duell in der EM-Qualifikation für das Turnier 2012 führte Holland zur Halbzeit in der Amsterdam-Arena bereits 2:0 gegen die Schweden. Heißsporn Ibrahimovic war während der ersten 45 Minuten mit dem robusten Kapitän van Bommel in Zweikämpfen aneinandergeraten. Frustriert über den Spielstand schoss Ibra nach Abpfiff einen Ball in Richtung van Bommel. Der reagierte allerdings nicht, bloß keine Provokation. Am Ende siegte Holland mit 4:1.
Eineinhalb Jahre später, Bayern-Trainer van Gaal hatte mit seinem Kapitän van Bommel gebrochen, verhandelte Berater Mino Raiola einen Wechsel des Holländers zu Ibra-Klub Milan. Der Klub-CEO Adriano Galliani holte in der Mailand-Kabine Meinungen über den Bayern-Star ein. Dabei habe er Ibrahimovic gefragt: Sollen wir van Bommel holen? Als Antwort bekam er vom einflussreichen Stürmerstar: „Scheiße, ja! Der ist ein richtiger Arsch auf dem Platz, den können wir brauchen. Lieber spiele ich mit ihm statt gegen ihn.“ Der Anfang einer wunderbaren Freundschaft, die sie mit der Meisterschaft mit dem AC Mailand krönten.
Der Nachmittag vergeht wie im Flug. Wir reden über das Trainer-Dasein als Ex-Profi. Natürlich sprechen wir auch über unsere gemeinsame Bayern-Zeit unter den Trainern Felix Magath, Ottmar Hitzfeld, Jürgen Klinsmann und Louis van Gaal. Als ich das erste Mal davon Wind bekam, dass Bayern an der Verpflichtung von van Bommel interessiert sei, war ich auf Anhieb begeistert. Van Bommel sah ich in der Tradition der großen, defensiven Bayern-Strategen wie Lothar Matthäus oder Stefan Effenberg. Mark muss bei den vergleichen Schmunzeln. „Weißt Du, ich war nie ein begnadeter Techniker“, gesteht van Bommel. „Umso mehr musste ich auf dem Rasen schlau sein. Das lernst du als Holländer schnell.“ Was Mark damit meint, führt er mir anhand von Zahlen aus. Die Niederlande habe 17 Millionen Einwohner, Deutschland dagegen über 80 Millionen. Was den Fußball betrifft, schöpfe Holland also nur aus einem Viertel so vieler Talente wie der vierfache Weltmeister Deutschland. Van Bommel: „Wenn du aus einem kleinen Land kommst, musst Du Dir über Dinge mehr Gedanken machen als andere, um mithalten zu können.“
Bevor ich wieder zu meinem Flug nach München aufbreche, zeigt mir Mark noch einen besonderen Raum. Als Journalist bin ich natürlich neugierig, folge van Bommel in seinen Keller. Ihm ist klar, dass mir als Fußball-Reporter das gefallen würde. Tatsächlich staune ich nicht schlecht. Mark hat, wie viele Profis, die getauschten Trikots seiner Laufbahn aufgehoben. Sie sind allerdings weder in einer Kiste verstaut, noch lagern sie im Schrank oder hinter einem Bilderrahmen. Van Bommel hat aus ihnen Kissen anfertigen lassen. Wie auf einem Schachbrett zieren sie die Wand seines Fitness-Kellers. Ich sehe die Münchner Bastian Schweinsteiger und Holger Badstuber, aber auch internationale Stars wie David Beckham fehlen nicht. „Siehst du das Trikot von Pavel Nedved?“, fragt mich van Bommel und verweist auf die Besonderheit: Die 8 wurde auf dem Rücken verkehrt herumgedruckt, nur erkennbar, weil der eigentliche obere Teil der Zahl größer ist. Speziell ist auch das Trikot zum 25-jährigen Jubiläum von Milan-Klub-Patron Silvio Berlusconi. „Davon gibt es nur 25 Stück“, klärt mich Mark auf. An der Wand hängt natürlich ebenfalls: Die Nummer 11 mit dem Schriftzug „Ibrahimovic“. Beide Spieler haben übrigens Bestmarken gemeinsam: Sowohl Ibrahimovic wie van Bommel wurden in vier verschiedenen Ländern Meister. Sie teilen Titel in Holland, Spanien und Italien. Beim Schweden kommt die französische Meisterschaft hinzu, beim Holländer die deutsche.
Zum Abschied bedanke ich mich bei Mark für das Interview (Mittwochsausgabe von SPORT BILD) und streichle dem Star des Hauses noch einmal übers Fell. Dabei kann ich mir die einmalige Gelegenheit nicht verkneifen und flüstere ihm zu: „Ibra, bist ein wirklich braver Hund!“ Und denke dabei an Zlatan…
P.S. Ich bearbeite gerade die Seiten des Interviews, fülle Überschrift-Zeilen und Bildunterschriften, als mein Telefon klingelt. Es ist Mark, der um Entschuldigung bittet, dass er das Interview in meiner Email noch nicht gelesen hat. Er musste erst noch mit Ibra spazieren gehen…