So schwindelte Ulreich wegen seiner Vertragsverlängerung…
Persönlicher Fußball-Blog von Christian Falk - Fußball-Chef der BILD-Gruppe. Insider-Berichterstattung über den FC Bayern München und der DFB Nationalmannschaft.
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So schwindelte Ulreich wegen seiner Vertragsverlängerung…

So schwindelte Ulreich wegen seiner Vertragsverlängerung…

Für Print-Reporter wie mich beginnt die intensive Arbeit meist erst nach dem Spiel, dann, wenn es darum geht, in der Mixed-Zone die Spieler zur Partie zu interviewen. So wie am Samstagabend-Topspiel Bayern gegen Schalke (2:1). Inzwischen kennt man seine Pappenheimer, weiß, wer Rede und Antwort steht, oder sich lieber mit dem Handy am Ohr an den wartenden Journalisten vorbeidrückt. Wie auf dem Rasen sind die Laufwege der Profis auch in der Interview-Zone für sie bezeichnend.

Das Topspiel des 22. Spieltags startet mit einer Lichtshow

Das Topspiel des 22. Spieltags startet mit einer Lichtshow

Nach dem 2:1-Sieg kommt als erstes Corentin Tolisso, mit den typischen Kopfhörern zur Abschottung vor Fragen. Es sei ihm verziehen, er spielte keine einzige Minute. Die Reservisten sind vom Klub angehalten, sich nicht zu äußern, schließlich könnten sie nur über die Leistung ihrer Kollegen sprechen. Von den eingesetzten Spielern geht die Rekord-Duscher-Medaille an diesem Tag an Jerome Boateng. Der Verteidiger bahnt sich seinen Weg samt Koffer durch die Mixed-Zone. „Heute nicht“, weist er Fragesteller freundlich, aber bestimmt ab. Ich schaue auf die Uhr: 20.43 Uhr. Ich tippe auf die LH-21.30-Uhr-Maschine nach Berlin. Morgen scheint wohl frei zu sein… Ich eile ihm dennoch schnell hinterher, schließlich gilt es noch zu klären, wie sehr er angeschlagen ist. Nach seiner Auswechselung ließ er sich immerhin sofort in der Kabine am linken Fuß behandeln. „Es ist nicht so schlimm“, ruft mir Jerome über die Schulter zu. Diese Kurz-Nachricht gebe ich über unsere SPORT BILD-Twitter-Kanäle raus. Kurz darauf wird sie auf anderen Accounts bereits ins Englische übersetzt und geht durchs World Wide Web. Mein Kurz-Sprint hat sich zumindest gelohnt.

So schnell wie auf dem Rasen ist Kingsley Coman auch nach dem Spiel. Gerne würde man ihn etwas fragen. Mein Schul-Französisch ist allerdings bescheiden, Kingsley spricht weder Englisch noch gut genug Deutsch. Meinen Kollegen geht es offenbar ähnlich. Coman darf unbefragt passieren. Den „Wir-verstehen-uns-ja-leider-nicht“-Joker zieht auch James, der mit einem Lächeln entschuldigend abwinkt. Martinez muss heute nicht ran, er hat ja auch nur 9 Minuten gespielt. Dankbar ruft er den Journalisten zum Abschied in breitem Bayerisch zu: „Servus!“

Auch Arjen Robben gibt nach dem 2:1-Sieg den Journalisten seine Meinung zum Spiel wieder

Auch Arjen Robben gibt nach dem 2:1-Sieg den Journalisten seine Meinung zum Spiel wieder

Die Mixed-Zone in der Allianz Arena ist so aufgeteilt, dass die Bayern-Profis rechts herum die Kabinen verlassen, die Gegner gehen den linken Weg hinter der Absperrung, die Spieler und Reporter trennt. Die Schlitzohren Rafinha und Ribéry wissen das natürlich, nehmen aus genau diesem Grund die Schalker-Außenbahn. Bis die Journalisten auf der Münchner Seite sie bemerken, sind sie schon fast raus. Ein Kollege ruft Ribéry noch eine Frage hinterher. Aus dem Seitengang, der von einem Ordner verstellt ist, dröhnt nur noch die tiefe charakteristische Stimme: „Heute nicht, Bruder, heute nicht.“ Ich kann mir das breite Ribéry-Grinsen dazu bildlich vorstellen.

Arturo Vidal ist anders. Er sucht sich weder Umwege, noch hat er Angst vor Konfrontationen. Der Chilene geht weder links noch rechts, hebelt stattdessen die Metall-Absperrung auseinander und geht mitten durch die Reporter. Dazu lacht er entschuldigend und zuckt mit den Schultern. Keine Fragen!

Es folgt die Riege, der pflichtbewussten Sprecher: Niklas Süle macht den Anfang, Mats Hummels, Sven Ulreich und David Alaba kommen ihm bald zur Unterstützung an die Seite. Auch Arjen Robben spricht heute, was meistens heißt: Er hat gespielt, schoss mindestens ein Tor oder wurde zumindest nicht ausgewechselt. Gegen Schalke war letzteres der Fall. Joshua Kimmich steht auch immer für Statements bereit, heute nicke ich ihm nur kurz zu, da ich Ulreich hinterher muss.

In Berater-Kreisen wird gemunkelt, dass der Keeper schon kurz vor der Vertragsverlängerung beim FC Bayern steht. Damit konfrontiere ich Ulreich. Er versichert mir: „Es gibt noch nichts Neues, zu vermelden.“ Nachfrage: Kann es denn schnell gehen? „Das weiß ich nicht. Ich muss mir überlegen, was ich will, was für eine Tendenz da ist.“ Noch nichts unterschrieben? „Nein, habe ich noch nicht. Es ist noch keine hundertprozentige Entscheidung getroffen worden.“ Ich bedanke mich dennoch und denke mir: Mal abwarten…

Am Tag darauf, keine 16 Stunden später, verkündet der FC Bayern per Pressemitteilung die Vertragsverlängerung von Ulreich bis 2021. „Nicht zu vermelden“, Sven? Hmmh…

Bis zu einem gewissen Grad haben wir Reporter grundsätzlich Verständnis, wenn sich Spieler an Klub-Absprachen halten müssen. Eine Vertragsverlängerung gibt der Verein eben gerne selbst bekannt. In diesem Fall hätte sich Ulreich aber geschickter, unverbindlicher ausdrücken können.

Den Profis, die kurz angebunden sind, muss man zu Gute halten: Wenn sie in den Mixed-Zone-Bereich kommen, haben sie oft schon viele Interviews bei den Rechte-Inhabern von Funk und Fernsehen hinter sich. Robert Lewandowski ist fast schon durch, als mein Online-Kollege mich auf seinen Durchmarsch hinweist. Ich wollte ihn doch noch fragen, warum er bei der Antwort, ob Cezary Kucharski noch sein Berater sei, auf der Presse-Konferenz während der Woche gezögert hatte. Gibt es einen Interessen-Konflikt wegen den lancierten Real-Gerüchten oder gar eine Trennung? „Nein, nein, er ist noch mein Berater“, sagt mir Lewandowski. „Die Frage an sich hatte mich einfach nur überrascht. Das ist alles.“ Ich verabschiede ihn mit den Worten in den Abend: „Nur noch 11 Treffer, Robert…“ Er stutzt kurz, bevor er versteht. Vor der Partie hatte er die 30-Treffer-Marke für sein persönliches Saisonziel ausgegeben. Mit seinem 1:0 gegen Schalke steht er nun bei 19. Robert nimmt den Ball mit einem Lächeln auf: „Ja, nur noch 11!“

Und dann kommt Müller…

Der Kapitän musste wohl bei den TV-Kollegen schon ran, denn er ist der Letzte. Zu Recht. Das Beste kommt bekanntlich erst am Schluss. Jetzt ist es noch an uns, ihn zu löchern. Bei inzwischen 18 Punkten Vorsprung in der Tabelle müssen die Kollegen schon kreativ sein, damit sich die Fragen nicht von Spieltag zu Spieltag wiederholen. Der BR-Reporter Philipp Nagel hat es sich zur Aufgabe gemacht, Spieler-Tipps einzusammeln, wie der erkrankte und daher bei der Partie abwesende Trainer Jupp Heynckes wieder auf die Beine kommt. Einige Stimmen hat er schon gesammelt. Süle riet zu „Wick Medi Night“, da Heynckes als Coach nicht zur Doping-Probe müsse, wo das Medikament auf der verbotenen Liste steht. David Alaba outete sich als Anhänger der Naturheilkunde, schlug Ingwer vor. Hummels bat um Verständnis, dass er für die Frage der falsche Ansprechpartner sei: „Ich bin ja selbst so oft erkältet…“ Und was sagt Müller, der auf alles stets eine Antwort hat? Was kann Heynckes aus der Erkältung raushelfen?

„Jetzt ist das Niveau erreicht, wo ich gehe!“, sagt Müller und schüttelt ungläubig den Kopf. Der BR-Kollege hakt nach, dass er doch ansonsten auch für jeden Spaß zu haben sei. Müller bittet um Verständnis. „Das ist wie auf dem Platz oft eine Frage des Timings – wenn ihr schon so dumme Fragen stellt“, sagt er, während er sich langsam versucht (wie bei einem Gegenspieler) davon zu stehlen. Das „dumm“ nimmt kein Reporter Müller krumm, inzwischen weiß jeder, dass das bei ihm nie böse gemeint ist. Dann schiebt Thomas den tatsächlichen Grund hinterher, warum es ihn nun endlich in den Feierabend drängt: „Und meine Frau wartet währenddessen oben schon wieder mit dem Essen auf mich.“

Jetzt bin ich es, der schmunzeln muss. Schließlich weiß ich, dass an diesem Müller-Spruch mehr dran ist, als die Kollegen ahnen. In der Rückrunde hatte Müller bereits im Heimspiel gegen Werder Bremen (4:2) getroffen und das gleich zweimal. Auch damals musste er durch einen Interview-Marathon, bis plötzlich sein Handy klingelte. Müller unterbricht seine Antwort an meinen Kollegen Tobi und nimmt ab. Es wird schnell klar, dass es seine Frau Lisa sein muss, die in der Loge auf ihren Mann wartet. „Ja, ich komme gleich hoch“, sagt Thomas ins Telefon. Kurze Pause. „Aber Du wünscht Dir doch immer, dass ich Tore schieße…“ Müller wendet sich nun dem Reporter zu, sagt für ihn bewusst gut vernehmbar mit breitem Grinsen: „Wenn ich dann aber Tore mache, dann muss ich mich danach eben den dummen Fragen stellen…“ Müller-Zwinkern an Tobi – und dann geht’s nach ein paar kurzen Antworten endlich in den VIP-Bereich.

Aus diesem Wissen heraus rufe ich Müller in den Gang hinterher: „Selber schuld! Du darfst halt kein Tor schießen, dann fragen wir dich ja auch nichts.“ Gegen Schalke machte Müller den 2:1-Siegtreffer, in Schlawiner-Art aufs kurze Eck. Der Arbeitsabend ist für uns damit abgehakt, Müller ist schon hinter der Trennwand verschwunden. Keiner rechnet mehr mit ihm, als er wie vor dem Tor plötzlich wieder aus dem Nichts auftaucht. Müller lacht über unsere überraschten Gesichter und stellt klar: „Wenn ich nicht treffe, sind die Fragen ja noch dümmer. Dann heißt’s: Wieso triffst Du denn schon wieder nicht?“ Das Letzte, was wir von ihm hören, ist sein Lachen in den Katakomben.

Wir lernen wieder einmal: Der Fußball-Abend in der Allianz Arena ist erst zu Ende, wenn Thomas Müller den letzten Lacher auf seiner Seite hat.

P.S. Eine Stunde später um 22.48 Uhr twittert Müller: „Celebrating the 2:1 win against Schalke 04 with my wife Lisa“. Auf dem Foto zeigt Lisa Müller mit ihrem rechten Daumen nach oben. In der linken Hand hält sie: einen Krapfen. Geht doch!