15 Aug Zwölf kuriose DFB-Jahre zusammen mit Poldi
Noch wenige Stunden vor seinem Rücktritt hatten wir am Montagmorgen Kontakt. Ich erkundigte mich bei Lukas, wie es ihm nach seiner Verletzung im türkischen Supercup ginge. Sein linker Fuß musste im MRT untersucht werden. „Schön geschwollen das Ding“, ließ er mich wissen. Seinen anstehenden Rücktritt erwähnte er da noch nicht, er schwebte ohnehin die letzten Wochen bei unseren Gesprächen immer mit. Seine Verletzung hatte nichts mit seinem Rücktritt zu tun, sie beschleunigte aber die Verkündung seiner Entscheidung. Drei Stunden später teilte Poldi via Facebook mit, dass er sich nach 129 Länderspielen aus der Nationalmannschaft verabschiedet. Mit Lukas Podolski geht ein Nationalspieler, den ich seit zwölf Jahren beim DFB begleiten durfte. Und ich muss sagen: Sein Rücktritt stimmt mich ein wenig sentimental. Und das nicht nur, weil er mich einmal in den Pool warf…
Die meisten seiner Geburtstage haben wir gemeinsam erlebt, weil Podolski (geboren am 4. Juni 1985) ihn sehr oft während der Turniervorbereitungen mit der Nationalmannschaft feiern musste. Zu seinem 30sten im vergangenen Jahr veranstalteten Freunde und Familie vielleicht auch daher eine Überraschungs-Party für ihn in einem Loft im Kölner Martins Viertel. Auch ich bekam eine Einladung – und wurde selbst überrascht: Außer mir war nur ein anderer Journalist eingeladen worden. Ein Vertrauensbeweis, der mir viel bedeutet.
Zu viele Nähe wird im Sportjournalismus oft skeptisch gesehen. Bei Lukas war das aber nie ein Problem, denn: Wenn er mal schlecht spielt, weiß er das selbst als Erster. Er akzeptiert Kritik, solange sie berechtigt ist. Auf dieser Basis blieben wir in zwölf Jahren Nationalmannschaft immer auf einer professionellen Ebene. Unser freundschaftliches Verhältnis litt nie darunter.
Seit Poldis DFB-Debüt 2004 hatten wir immer wieder auf Pressekonferenzen oder bei Interviews miteinander zu tun. Persönlich so richtig kennen lernen durfte ich ihn aber beim Confed-Cup 2005. Zwei Kollegen vom Kölner Express stellten uns in einer privaten Runde vor. Damals waren noch nicht genehmigte Treffen außerhalb des DFB-Quartiers möglich. So saßen wir an einem Spielfreien Tag des Turniers im Barfußgässchen in Leipzig. Wir Journalisten tranken Bier, Lukas – gerade 20 Jahre alt geworden – Limo (Alkohol fasst Poldi bis heute nicht an). Plötzlich überraschte Poldi uns, die Journalisten, mit einer Frage. „So, jetzt erklärt mir das mal“, sagte er nach einer halben Stunde des Fußball-Geplauders. „Wie war das nun mit dieser Mauer?“ Auch das ist Podolski. Wenn er etwas nicht weiß, schämt er sich dessen nicht, sondern fragt ganz einfach. Die DDR-Thematik hatte ihn beim Aufenthalt im Ostdeutschen Leipzig beschäftigt. Jetzt wollte er wissen, was er in den Geschichtsstunden seiner Schullaufbahn verpasst hatte. Wir erzählten ihm alles so gut wir konnten.
„Ich weiß, wo ich herkomme. Ich bin immer noch der gleiche Lukas Podolski wie damals“, sagte mir Poldi im Laufe der Jahre sicherlich an die hundert Mal. Er ist einer der Fußball-Stars, dem man das glauben darf.
Immer in Erinnerung bleiben wird mir ein gemeinsamer Termin in Köln. Wir bereiteten damals eine Serie für die WM 2010 in Südafrika vor. Die Nationalspieler sollten dabei mit exotischen Tieren des Gastgeber-Landes fotografiert werden. Für Podolski hatten wir einen Babylöwen ausgesucht. Wir verabredeten uns in einem Kölner Hotel, natürlich in der Nähe seines geliebten Doms. Trotz des Tierpflegers war der kleine Löwe aufgrund der Lichtanlagen ein wenig nervös. Podolski spürte das. Er nahm den kleinen Löwen, streichelte und beruhigte ihn wie einen Hundewelpen. Die Fotos wurden klasse, auch Poldi hatte richtig Spaß. Als ich ihm dann nach den Aufnahmen dankend die Hand schüttelte, schreckte ich zurück. Podolski blutete an den Unterarmen, war völlig zerkratzt. Er bemerkte meinen schockierten Blick. Mit einem breiten Grinsen meinte er dazu lapidar: „Der kleine Racker wollte einfach ein wenig spielen, das heilt schnell.“ Daraufhin packte Podolski kurzerhand die Spezial-Anfertigung unseres DFB-Trikots im Leoparden-Muster samt Ball ein und verabschiedete sich mit der Begründung: „Für mein Trophäen-Zimmer!“ Das Trikot landete neben den Sprung-Skiern von Adam Malysz, verriet mir Poldi später. Aus seiner Liebe zu seiner Zweitheimat Polen hat er nie ein Geheimnis gemacht…
Das Kölner Hotel war nur einer von vielen Orten, wo wir uns im Laufe der Jahre sehen sollten. Um seine Rückkehr vom FC Bayern 2009 nach Köln zu verkünden, trafen wir uns heimlich in der Münchner „Menterschwaige“ für ein vom Klub nicht genehmigtes Interview. Podolski hatte sogar einen Zettel vorbereitet, um keinen seiner Beweggründe für den damals ungewöhnlichen Wechsel zu vergessen. Wenige Monate später saßen wir im Trainingslager des 1. FC Köln gemeinsam am Ufer des Wörthersees und diskutierten seinen sportlichen Rückschritt. In London, wo er von 2012 bis 2015 für Arsenal kickte, zeigte er mir seinen Stamm-Italiener in Hampstead. Oft traf Podolski dort beim Essen auf die Popstars George Michael und Elton John. Bei seinem kurzen Gastspiel für Inter reiste ich im Frühjahr 2015 mit sehr unbequemen Fragen im Gepäck nach Mailand. Damals lief es sportlich alles andere als gut für Podolski. Dennoch stellte er sich auch da zum Interview. Dieser Termin zeigte mir vielleicht am besten, aus welchem Holz Podolski geschnitzt ist.
Wir verabredeten uns am Stadion „San Siro“. Die Idee war, ein Foto-Shooting in der Inter-Kabine zu machen. Eine Genehmigung vom Klub hatte ich zuvor nicht eingeholt (In Italien ist die Pressestelle bei solchen Anfragen oft ein wenig schwierig). Wir wollten uns Tickets für eine private Stadion-Tour kaufen (35 Euro pro Person!) und einfach mit Podolski durch spazieren. Doch Trainer Roberto Mancini hatte die Nachmittagseinheit überzogen, so dass Lukas spät dran war. Als die Stadion-Führer schon anfingen um kurz vor halb sechs die Tore abzuriegeln, musste ich doch mit meinem wahren Anliegen herausrücken. Es stellte sich heraus, dass die Italiener nicht so unbürokratisch sind wie ihr Ruf. Die Kassiererin schien den ganzen Klub durchzutelefonieren, ob eine Führung mit Podolski denn erlaubt sei. Ich sah den Termin schon platzen, als Lukas mit seinem Wagen um die Kurve bog. „Gibt’s Probleme?“, fragte er die verdutzte Kassiererin. Trotz kurzer Erklärung, wir würden nur für fünf bis zehn Minuten in die Kabine und gerne auch dafür bezahlen, wollte sie auch bei dem Inter-Profi nicht klein beigeben. Jeder andere Spieler hätte nun abgewinkt, nicht aber Podolski. Deutlich und bestimmt erklärt er der Dame, dass wir Freunde – extra angereist aus Deutschland – seien und er Fotos machen wolle. Falls es vom Klub Probleme geben sollte, würde er diese auf seine Kappe nehmen. Danach gingen die Kabinen-Türen auf.
Podolski ist keiner der glatten Profis, die in ständiger Angst leben, in ihrer Karriere etwas falsch zu machen. Wenn er etwas für richtig hält, zieht er es durch. So wie nun seinen Rücktritt.
Das Interview zu Podolskis Rücktritt lesen Sie am Mittwoch in SPORT BILD.