03 Mai So tickt der Mensch Toni Kroos
Ich stehe mit Toni Kroos in den Katakomben des altehrwürdigen Bernabeu. Der FC Bayern ist wenige Momente zuvor gerade unglücklich im Halbfinale der Champions League an Real Madrid gescheitert. Der Ex-Münchner Kroos dagegen zog an Stelle seiner einstigen Kollegen ins Finale der Königsklasse in Kiew ein. Wir beide sprechen gerade über die Dramatik des Spiels, als wir unterbrochen werden. „Toni!“, ruft jemand. „Schau mal, dass Dein Sohn öfter mit Dir einläuft!“ Es ist Thomas Müller, der sich in Müller-Manier hinter Kroos’ Rücken vorbei geschlichen hat. Kroos lacht erst ein wenig perplex, stimmt Thomas dann aber sofort zu.
Für mich könnte dieses Aufeinandertreffen nicht bezeichnender sein. Auf der einen Seite Kroos, der gerade dabei ist, deutsche Champions-League-Geschichte zu schreiben. Daneben Müller, einer der tragischen Münchner Helden, der diese Chance gerade auf bitterste Weise verpasst hat. Nach Abpfiff sind sie nicht mehr die Weltstars, die kurz zuvor ein Millionen-Publikum auf Fernsehübertragungen weltweit begeistert haben. Sie sind zwei Kollegen, die gerade ihrem Job nachgegangen sind, und nun in den Feierabend gehen. Wenn ich gefragt werde, welche Fußballer trotz ihrer Karrieren am bodenständigsten geblieben sind, antworte ich immer auch mit ihren beiden Namen.
Es gibt nur einen deutschen Spieler, der die Champions League mit zwei verschiedenen Klubs gewonnen hat. Dreimal hielten zuletzt nur die 70er-Helden des FC Bayern um Franz Beckenbauer den Henkelpott in der Hand, der damals noch „Europapokal der Landesmeister“ hieß. Weltmeister ist er sowieso. Toni Kroos hat das alles mit gerade mal 28 Jahre erreicht. Bei einem weiteren Triumph mit Real Madrid in dieser Saison wäre er an internationalen Titeln in der deutschen Fußball-Historie endgültig einzigartig. Das wirklich besondere aber daran ist: Wenige Fußballer sind so normal geblieben wie unser heimlicher Superstar!
Ich kenne Toni Kroos seit seinen ersten Ball-Berührungen in der Profi-Mannschaft des FC Bayern vor elf Jahren. Trotzdem ist er als Mensch schwer greifbar. Kaum ein Fußballer gibt so wenig Privates von sich Preis wie er. Was macht ihn aus, wenn er nicht Fußball spielt? Die Art von Kroos kann bei TV-Interviews oft etwas trocken wirken. Doch wer ihn wie ich kennen lernen durfte, weiß: Sein trockener Humor ist umso witziger.
Toni ist zuverlässig, stets pünktlich. Warum das wichtig ist? Weil diese Eigenschaft seinen Charakter wunderbar beschreibt. Nur einmal verlegte er eines unserer Telefon-Interviews um eine halbe Stunde kurzfristig nach hinten. Die Fahrt zum Kindergarten hatte am Morgen etwas länger gedauert, entschuldigte er sich. Als er zuletzt anlässlich unserer Jubiläumsausgabe für 30 Jahre SPORT BILD unseren Gast-Chefredakteur gab, lud er mich zum Termin nach Madrid ein. Mir fiel sofort auf, dass Tonis Gang nach dem Hinspiel gegen Paris Saint-Germain nicht ganz rund war (für das Rückspiel fiel er tatsächlich verletzt aus). Eine Termin-Absage kam für ihn dennoch nicht in Frage. Kroos ist zuverlässig.
Wie das Leben eines extrovertierten Superstars aussehen kann, erlebt Kroos jeden Morgen. Wenn er seine Haustür in dem Wohnviertel „La Finca“ öffnet, blickt er auf die Villa seines direkten Nachbars Cristiano Ronaldo. Kroos hat einen Pool, Ronaldo zwei. Anders als der Portugiese (CR) hat sich der Deutsche auch nicht seine Initialen auf dem Schwimmboden-Becken fließen lassen. Selbst am Trainingsgelände von Real parken Kroos (Rückennummer 8) und Ronaldo (Rückennummer 7) nebeneinander. Während der deutsche Weltmeister fast ausschließlich mit seinem Dienstwagen des Klub-Sponsors unterwegs ist, liebt es der portugiesische Europameister seinen Fuhrpark zu präsentieren. Kroos leistet sich nur einen Flitzer, zeigt sich damit aber eher selten.
So wie er sich als Real-Star gibt, habe ich Toni auch in München kennengelernt. Ich möchte fast sagen: Der Mensch Kroos hat sich seither nicht verändert. Schon in München wohnte er für Bayern-Star-Verhältnisse in einem eher durchschnittlichen Haus in Grünwald. Bei der Lage nahm er Rücksicht auf seine beiden Beagles Julius und Lenox für schöne Gassi-Wege. Die Hunde hat er natürlich auch mit nach Madrid überführt. Kroos steht für Beständigkeit.
Der Mittelfeldmann wäre wohl heute noch in München, hätten ihm die Bayern-Bosse den Wunsch nach einem zweistelligen Millionen-Gehalt erfüllt. Diese beharrten allerdings auf die Summe von 8, maximal 9 Millionen – und keinen Euro mehr. Am Ende ging es beiden Parteien ums Prinzip. Das zweistellige Millionen-Gehalt bekam dann der Kroos-Ersatz Xabi Alonso, Toni kassiert bei Real nun mindestens 10,9 Millionen Euro pro Jahr.
Einen Luxus leistet sich Kroos allerdings tatsächlich heimlich. Wer seine Karriere genau verfolgt, hat vielleicht bemerkt, dass er stets weiße Fußball-Schuhe trägt. Während andere Profis den Wunsch des Sponsors nach dem neuesten Modell folgen, zieht Kroos das Konsequent durch. Auch auf die Gefahr hin, dass ihm die eine oder andere Vertragsprämie dadurch entgeht. Ein Toni Kroos macht nun mal keine Kompromisse.